Südwestpresse 29. August 2016
Die Wildschweine vermehren sich und mit ihnen die Löcher in Erich Landwehrs Maisfeld - ein Problem das für Nicht-Eingeweihte erst von oben sichtbar wird. Mit Foto- und Videoaufnahmen aus der Luft. AGNES HILGER | 29.08.2016 | |||
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Es ist ein ganz normales Maisfeld, zumindest auf den ersten Blick. Saftig grün strecken sich die Pflanzen gen Himmel, umgeben von einem kniehohen Zaun. Ein dünnes Seil, das elektrisch geladen ist, soll einen Feind abwehren, der Jägern und Landwirten in den vergangenen Jahren viel Zeit gekostet hat: das Wildschwein. Nachts trampeln die Wildschweine aus dem Wald in dieses Maisfeld zwischen Ludwigsfeld und Senden. Dort fressen sie sich satt und trampeln die Pflanzen kaputt. Schon vom Boden aus sind ein paar große Löcher zu sehen, doch erst aus der Vogelperspektive wird das wahre Ausmaß deutlich. Ein riesiger Teil der Ernte ist auch in diesem Jahr zerstört. |
Den Zaun hat der für dieses Gebiet zuständige Jäger Ernst Müller mit Hilfe seines Kollegen Werner Fehmer um das Feld gezogen. Allein das hat drei Tage gedauert. Jeden Tag muss jetzt jemand den Zaun kontrollieren. Das 80 0000 Quadratmeter große Feld umrunden, nachsehen, ob das Seil Strom hat, ob nicht ein Grashalm zu hoch gewachsen ist, sodass er den ganzen Zaun erdet. Dennoch ist die Sperre keine Garantie für eine wildschwein-freie Zone. „Wenn die Wildschweine auf der Flucht sind, dann nützt der Zaun nichts. Die rennen dann einfach durch“, erklärt Christian Liebsch, erster Vorsitzender des Bayerischer Jagdverbands, Kreisgruppe Neu-Ulm. Landwirt Erich Landwehr hätte gern einen massiveren Zaun für sein Feld, einen, den die energiegeladenen Wildschweine nicht so einfach umreißen könnten. Aber das gäbe Probleme mit dem Naturschutz. „Es wäre nicht schön fürs Landschaftsbild und außerdem wegen der hohen Spannung viel zu gefährlich“, sagt Liebsch. Ständig liefen hier Spaziergänger vorbei. Ein Zaun mit hoher Spannung sei da undenkbar. Der Zaun, den Müller aufgestellt hat, gibt nur kleine Stromschläge ab. Außerdem steht er nur bis der Mais geerntet ist. Deshalb ist er genehmigt. Auch die Wildschwein-Jagd ist keine Lösung. Eine Treibjagd ist schon allein wegen der Größe des Feldes schwierig: Auf acht Hektar Land hat ein Wildschwein fast immer die Möglichkeit auszuweichen. Bei der Wildschwein-Jagd werden außerdem sehr große Kaliber benötigt, weswegen mit einem riesigen Gefahrenbereich gerechnet werden muss. Im ungünstigsten Fall fliegen die Kugeln sechs Kilometer weit. Das ist zwar sehr unwahrscheinlich, aus Sicherheitsgründen muss aber natürlich mit dieser Reichweite gerechnet werden. „In einer dicht besiedelten Landschaft ist das äußerst gefährlich“, sagt Liebsch. Die nahegelegene B28 ist rund um die Uhr befahren und schon am frühen Morgen wird der Weg von Joggern und Spaziergängern benutzt. Die einzige Möglichkeit, die Tiere zu jagen, ist, von einem Jägerstand aus, bei gutem Mondlicht. „Rund um Vollmond sind wir fast jede Nacht draußen“, erzählt Müller. Landwehr hat als einer der wenigen Landwirte einige Schneisen in sein Feld gemäht. Sie sollen das Jagen erleichtern. Der Mais liefert den Tieren eine perfekte Deckung, wenn sie aber in die offenen Schneisen stürmen, kann der Jäger sie erlegen. Dass Landwirte und Jäger so Hand in Hand arbeiten ist keine Selbstverständlichkeit. „Wir sind froh, dass wir so einen Jäger haben“, sagt Landwehr. Im Jagdjahr 1998/1999 wurden im Landkreis Neu-Ulm gerade einmal knappe 100 Wildschweine erlegt. Im Jagdjahr 2015/2016 waren es 532. Viele Faktoren haben zu diesem enormen Anstieg in der Population geführt. Eine große Rolle spielt das Klima. „Wenn es einen strengen Winter oder ein nasskaltes Frühjahr gibt, dann ist die Sterblichkeit der Frischlinge sehr hoch“, erklärt Liebsch. Die vergangenen beiden Winter waren sehr mild, sie boten also eine ideale Bedingung für das Überleben des Nachwuchses. Aber selbst wenn nun ein strenger Winter folgt, kann das die Population nicht genügend verringern. „Der Bestand an erwachsenen Tieren ist inzwischen sehr hoch“, sagt Liebsch, „und für die sei auch ein eisiger Winter kein Problem.“ Im vergangenen Jahr wurden im Gebiet Illerholz über 40 Wildschweine geschossen. Das Fleisch essen die Jäger meistens selbst, oder geben es an Freunde weiter. „Wildbret ist sehr mageres Fleisch. Es hat kaum Fett“, sagt Fehmer. Die Nachfrage nach Wildbret ist zur Zeit trotzdem gering. Die meisten essen vor allem Schwein oder Hähnchen. Derweil werden die Voraussetzungen für eine Vergrößerung der Population auch abgesehen vom Klima immer besser: Für die Waldstabilität werde in den letzten Jahren immer mehr Laubholz angepflanzt, erklärt Liebsch. Den Tieren liefern diese Eichen Früchte, und in den Feldern finden sie Getreide und Mais, über den die Tiere auch Flüssigkeit aufnehmen. „Der Mais ist reines Kraftfutter für die Tiere. Das ist ein reich gedeckter Tisch“, sagt Liebsch. Hinzu komme noch, dass die Wildschweine keinen natürlichen Feind mehr hätten. So müssen nun Landwehr, Müller und Fehmer die Rolle der natürlichen Feinde übernehmen. Eine Lösung des Konflikts ist nicht absehbar. Müller seufzt und sagt: „Die meisten, die das machen, sind Idealisten.“ |