Augsburger Allgemeine 30. November 2015
Auf der Schwäbischen Alb geriet ein Exemplar auf der Autobahn unter die Räder. Woher Isegrim stammt ist offen. Ob er hier Fuß fassen wird? Von Oliver Helmstädter
Mitteleuropäische Wölfe wiegen bei einer Schulterhöhe von etwa 70 Zentimeter durchschnittlich 40 Kilo, dabei sind die Männchen in der Regel schwerer als die Weibchen. Foto: David Ebener (dpa)
Wolf tot aufgefunden
Als die Ulmer Autobahnmeisterei vergangenen Donnerstagmorgen gerufen wurde, ein totes Tier auf der A8 bei Merklingen einzusammeln, war Dienststellenleiter Georg Gotterbarm noch nicht bewusst, dass seine Mitarbeiter einem historischen Moment beiwohnen: Der Beweis für die Rückkehr des Wolfes ist seither gefunden. Der auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik vor der Rückkehr der Wölfe in den Osten vorläufig letzte freilebende Wolf wurde am 27. Februar 1904 in der Lausitz erschossen. „Das Tier hatte kein Halsband und sah anders aus als ein normaler Hund“, sagt Gotterbarm. Und so wurde das Tier nicht wie sonst üblich zur Tierkörperbeseitigungsanstalt gebracht, sondern die Kreisjägervereinigung angerufen. Ist das wirklich ein Wolf? Um ganz sicher zu gehen informierten die Jäger die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg. Dann die Gewissheit: Nach einer intensiven Begutachtung durch die Experten der FVA und des Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung handelt es sich um einen jungen männlichen Wolf.
Die Herkunft will man in den Genen des Wolfs finden
Der Kadaver wird nun an das Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin abgegeben, das sich auf die Untersuchung von toten Wölfen spezialisiert hat. Die Herkunft soll über die Auswertung genetischer Proben geklärt werden. In Frage kommt eine Zuwanderung aus der Alpenpopulation oder auch aus der Population in Ostdeutschland.
Der Fundort befindet sich im Bereich eines Wildtierkorridors unweit der Stelle, an der vor einigen Jahren ein Luchs überfahren wurde. Kreisjägermeister Max Wittlinger vermutet, dass der Wolf aus der Schweiz eingewandert ist. Denn wenn er aus dem Osten kommen würde, hätte der Wolf weit mehr Autobahnen zu überqueren. Wittlinger waren seit Jahren Gerüchte über eine angebliche Rückkehr des Wolfes bekannt. Jäger, Spaziergänger und auch Schneepflugfahrer berichteten immer wieder über sonderbare „Hunde“, die möglicherweise Wolfe waren. In einem Fall sollen es sogar fünf Stück auf einmal gewesen sein. „Doch das halte ich für unwahrscheinlich.“
Laut in die Hänge klatschen, wenn man einem Wolf begegnet
Für allerdings sehr wahrscheinlich hält der Kreisjägermeister, dass der jüngste „Totfund“ nicht der letzte war. Im Juni dieses Jahres wurde an der A5 bei Lahr im Schwarzwald ein junger Wolf überfahren, der aus der Ost-schweiz zugewandert war. Und wenn der nächste Wolf es schafft, die Autobahn 8 zu überqueren, würde er Biosphärengebiet rund um Münsingen gute Lebensbedingungen finden. „Zwei Herzen“ schlagen in der Brust des Jägers, was die Rückkehr des Wolfes angeht. Er freue sich, dass ein vor Jahrhunderten ausgerottetes Tier wieder zurück kommt, weil das ein gutes Signal für den Zustand der Natur sei. Als Kreisjägermeister müsse er allerdings auch die Probleme im Kopf haben, die Isegrim mitbringe. In Sachsen könne beobachtet werden, wie Wolfsrudel Zusammensetzung und Verhalten von anderen Wildtierarten ändern würden.
Der Wolf als Jagdwild ist tabu: Wölfe unterliegen internationalen Artenschutzbestimmungen sowie als streng geschützte Art den Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes. Kreisjägermeister Wittlinger ist es ein Anliegen zu betonen, dass Jagdhunde und Nutztiere wie Schafe durchaus Opfer von Wölfen werden können, doch der Mensch nicht auf dem Speiseplan der Ur-Hunde steht. „Wölfe sind sehr, sehr scheu.“ Und wenn sich bei einem Spaziergang auf der Schwäbischen Alb in nächster Zeit – entgegen dem üblichen Verhalten – ein neugieriger Jungwolf doch einmal einem Spaziergänger nährt, hat der Kreisjägermeister den passenden Tipp parat: „Laut in die Hände klatschen. Dann hau er ab.“