SWP 1. Februar 2013 Autor: HELGA MÄCKLE
Angeschossene oder verletzte Wildtiere müssen laut Jagdgesetz gesucht und erlegt werden. Das ist Arbeit für Spezialisten: Harald Fischer und sein Hund Artus aus Langenau sind ein solches Nachsuche-Team.
Fotos: Oliver Schulz (1), SWP (2-4)
"Man wird zum Indianer." Ein guter Nachsucher müsse jeden Hinweis erkennen, den ein verletztes oder angeschossenes Tier auf seiner Flucht hinterlässt: einen umgeknickten Zweig, eine Spur im Gras, kleinste Tropfen von Blut. Es geht über Stock und Stein, durch Dickicht und Maisfelder, Hänge und freie Flächen. Harald Fischer und sein Hund Artus aus Langenau sind ein anerkanntes Nachsuche-Team für die Jägervereinigungen Ulm, Neu-Ulm und Günzburg sowie für das Staatliche Forstamt Weißenhorn und den Fachbereich Forst des Landratsamtes Alb-Donau: Schießt ein Jäger ein Tier an, muss es laut Jagdgesetz nachgesucht und erlegt werden. Ebenso, wenn ein Tier bei einem Verkehrsunfall verletzt wird.
Dann bekommt Harald Fischer, der in Langenau zusammen mit seiner Frau ein Radio-und Fernsehgeschäft führt, einen Anruf: Er zieht seine rote Spezial-Kleidung an, die aus einem Material gefertigt ist, das wildgewordene Wildschweine nicht durchbeißen können. "Wenn Artus hört, dass ich in die Klamotten schlüpfe, springt er vom Sofa und geht nicht mehr von meiner Seite. Er weiß, dass es losgeht."
Artus ist eine zwei Jahre alte Steirische Gebirgsrauhhaar-Bracke, inzwischen der dritte Hund von Fischer, der seit 1988 als Nachsucher arbeitet. Ehrenamtlich. Lediglich das Kilometergeld bekommt er ersetzt. "Das ist Hobby und Spaß." Er bildet seine Hunde selbst aus und hat darüber ein Buch geschrieben, das demnächst in der dritten Auflage erscheint.
"Ohne den Hund bin ich aufgeschmissen, schließlich kann ich nicht riechen, wo die Sau lang ist", sagt Fischer. Artus ist spezialisiert auf die Suche nach Schwarzwild. "Aber Reh geht auch." Der Hund nimmt die Fährte des verletzten Wildschweins auf: Da die Tiere durch ihre Verletzung meist Blut verlieren - in der Jägersprache Schweiß genannt - werden Nachsuche-Hunde auch als Schweißhunde bezeichnet. Die brauchen "die feinste Nase, sie müssen mutig, hartnäckig und ausdauernd sein", sagt Fischer. Bei der Ausbildung nutze man den Beutetrieb des Hundes, der bei bestimmten Rassen besonders herausgezüchtet worden sei. Wie die Steirische Gebirgsrauhhaar-Bracke, von denen es in Deutschland pro Jahr lediglich etwa sechs Würfe gebe. Die Welpen werden ausschließlich an Jäger abgegeben. Die Ausbildung beginne im Alter von neun Wochen mit der Prägung auf Schwarzwild. Anschließend muss der Hund lernen, gelegten Fährten zu folgen, später dann Laut zu geben, wenn er das verletzte Tier gestellt hat.
Mit elf Monaten hat Artus seine Prüfung beim Deutschen Brackenverein als Nachsuche-Hund abgelegt. Inzwischen hat er fast 200 Suchen absolviert. Sein Herrchen kommt auf 1500. Die meisten erfolgreich. "Aber natürlich hab ich auch mal Fehler gemacht. Die meisten, weil ich dem Hund nicht geglaubt habe." Artus ist bei der Suche an einer langen Leine. "Ich achte dabei ständig auf seine Reaktion", sagt Fischer. Der Rüde korrigiere sich selber, wenn er die Fährte verliert. "Ich muss mich auf ihn verlassen. Mir bleibt nichts anderes übrig." Daher sei ein guter Nachsuche-Hund letztlich unbezahlbar.
Hat Artus das verletzte Tier gefunden, stellt er sich auf die Hinterbeine und bellt. Dann macht Fischer ihn los. Aufgabe des Hundes ist es nun, die Sau zu hetzen und sie zu stellen. "Und selbst ein schwer verletztes Tier läuft unter Umständen noch weit, bis zu einem Kilometer." Fischer muss hinterher. Das kann - quer durch den Wald - ziemlich anstrengend werden. "Das hält mich jung, auf dem Sofa sitzen ist nichts für mich."
Erreicht er Hund und Wildschwein, ist Vorsicht geboten. Er sei schon einige Male von einer verletzten Sau angegriffen worden, habe blaue Flecken, Prellungen oder ein verdrehtes Knie davon getragen. "Und nie geht die Sau den Hund an, immer mich." Warum, könne er nicht erklären. Um zum Schuss zu kommen, muss Fischer öfter die Position wechseln. Damit er den Hund nicht trifft. "Denn wenn der die Sau mal hat, lässt er nicht mehr von ihr ab." Dazu sei der Jagdtrieb zu stark.
Er sei schon im Gebüsch gelegen, das verletzte Wildschwein eineinhalb Meter im Dickicht entfernt. "Da ist es dann nicht leicht, das Tier zu treffen." Fischer kann zig Geschichten erzählen - von Nachsuchen, die drei Tage gedauert haben, von schlechten Schüssen, von verletzten Wildschweinen, die sich in Vorgärten verirrten, von angriffslustigen Keilern und mutigen Hunden, die ihren Herrn verteidigen. Einige davon hat er in seinem Buch "Wie man einen Schweißhund macht" aufgeschrieben. Auf ihn habe die Nachsuche eine ungeheure Faszination, man sei in einer Art Naturzustand: "Ich sehe, spüre, bewerte und ordne die Spuren ein, und ich bin nah am Tier." Nicht zuletzt wolle er mit Hunden arbeiten, sagt Fischer, der lange Jahre eine Jagdpacht in Langenau hatte.
Artus und seine Vorgänger seien Familienmitglieder. "Wer das nicht versteht, versteht keinen Hund." Der gehöre zu seinem Rudel und das seien nunmal die Menschen. "Als wir Artus beim Züchter gesehen haben, hat sich vor allem meine Frau sofort in ihn verliebt." Bis heute schmusten die beiden gerne und ausgiebig. Und manchmal frage er sich, ob seine Frau mehr Angst um den Hund denn um ihn habe, wenn sie losziehen, sagt Fischer mit einem Grinsen.
Die großen Drückjagden sind seit 15. Januar vorbei. Wildschweine werden aber das ganze Jahr über gejagt. "Wir hatten extrem viel Arbeit", berichtet Fischer. Das liege auch an der stetig wachsenden Zahl an Schwarzwild. Mehr als 130 Mal waren Fischer und Artus diese Saison unterwegs. Gerne würde er Nachsuchen abgeben. Aber außer ihm gebe es nur Ingo Seifert aus Oberstadion, mit dem Fischer die "Nachsuche-Station" für die Region betreibt. Am Nachwuchs mangle es vor allem, weil der Zeitaufwand hoch ist. "Junge Leute sind heutzutage so im Beruf eingespannt, dass sie nicht einfach stundenlang weg können. Leider."
Für Artus seien die vielen Suchen in den vergangenen Wochen gut gewesen, weil der junge Hund dabei viel Erfahrung gesammelt habe. "Je öfter er unterwegs ist, um so passionierter wird er." Wobei die Arbeit für ihn extrem anstrengend sei. "Nicht so sehr wegen des Laufens, sondern wegen des konzentrierten Riechens." Kommt Artus nach einer Suche heim, sei nichts mehr mit ihm anzufangen. "Der legt sich hin und rührt sich bis zum nächsten Tag nicht mehr."